Im familialen Zusammenleben erfahren Menschen untereinander und im Kontakt mit Einrichtungen und Organisationen vielfältige, oft schwerwiegende und lang anhaltende Konflikte, in denen sachliche, psychische und zwischenmenschliche Anteile aufs Engste miteinander verknüpft sind. Häufig entstehen solche Konflikte im Kontext von Übergängen zwischen Lebensphasen, als Auseinandersetzung zwischen Generationen (z.B. zwischen Eltern und Jugendlichen, zwischen alt gewordenen Eltern und ihren erwachsenen Söhnen und Töchtern) und besonders ausgeprägt im Zusammenhang mit der Trennung bzw. Scheidung von Paaren.
Familienmediation ist ein Verfahren, das die Komplexität von Konflikten in und zwischen familialen und familienanalogen Systemen bearbeiten kann, indem sie bei der Konfliktregelung psychosoziale, rechtliche und ökonomische Aspekte eines Falles angemessen einbezieht.
Die Mitgliederversammlung der BAFM hat beschlossen, die in der Gründungsphase der BAFM entwickelten „Richtlinien der BAFM für die Mediation in Familienkonflikten“ zu überarbeiten, damit sie dem heutigen Kenntnis- und Diskussionsstand zu Grundlagen und Vorgehensweisen in der Familienmediation entsprechen. Die Richtlinien schließen die Standards des Europäischen Forums und den Europäischen Verhaltenskodex für Mediatoren ein. Sie wurden in der vorliegenden Form von der BAFM-Mitgliederversammlung am 16. November 2008 beschlossen und in Kraft gesetzt.
Die Richtlinien wenden sich an die Mitglieder der BAFM. In den dienst-, berufs- und standesrechtlichen Vorschriften der beteiligten Professionen sollten die in diesen Richtlinien niedergelegten Grundsätze Beachtung finden.
2.1 Ziele
Familienmediation hat die Aufgabe, selbstbestimmte und einvernehmliche Regelungen psychosozialer bzw. rechtlicher Probleme zu erreichen, die in krisenhaften Konflikt- und Übergangssituationen auftreten. Solche Lösungen werden von den Konfliktpartnerinnen und -partnern mit Unterstützung der Mediatorin bzw. des Mediators selbst erarbeitet.
Der Mediationsprozess fördert die Autonomie sowie die Dialog-, Kooperations- und Gestaltungsfähigkeit. Ziel ist eine von den Konfliktpartner/innen als fair anerkannte Regelung; sie kann, sofern dies wünschenswert oder erforderlich ist, in Form einer rechtsverbindlichen Vereinbarung abgeschlossen werden.
2.2 Inhalte
Die Inhalte einer Familienmediation ergeben sich aus dem jeweiligen Fall; sie werden von den Konfliktpartner/innen ausgehandelt und festgelegt.
2.3 Prinzipien
Mediation geschieht in einem Prozess, der sich an folgenden Grundsätzen orientiert:
2.3.1 Freiwilligkeit
Die Entscheidung für die Wahl des Verfahrens der Mediation ist freiwillig. Der Mediationsprozess kann von allen Beteiligten, also auch von dem/der Mediator/in jederzeit beendet werden.
2.3.2 Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmung
Der Mediationsprozess basiert auf der Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmung der Konfliktpartner/innen. Sie werden darin unterstützt, für ihre Interessen und Bedürfnisse einzustehen.
2.3.3 Informiertheit
Eine selbstbestimmte Entscheidung der Partner/innen ist nur auf der Grundlage eigener sachlicher Informiertheit möglich. Jede/r Konfliktpartner/in muss ausreichend Gelegenheit haben, sich Zugang zu sämtlichen Informationen zu verschaffen, die entscheidungserheblich sind und sie in ihrer Tragweite erkennen und gewichten können, damit jede/r sich der Konsequenzen der eigenen Entscheidungen voll bewusst ist.
Bei den Konfliktpartner/innen setzt dies die Bereitschaft zur Offenlegung aller zur Sache gehörenden Daten und sonstigen relevanten Fakten voraus.
2.3.4 Vertraulichkeit
Der/Die Mediator/in ist zur Verschwiegenheit verpflichtet. Er/Sie wirkt darauf hin, dass die Konfliktpartner/innen sich schriftlich verpflichten, ihn/sie nicht als Zeugen zu benennen. Die Beteiligten können vereinbaren, im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten bestimmte Informationen vertraulich zu behandeln und nur mit ausdrücklicher Zustimmung der anderen Konfliktpartner/innen weiterzugeben.
2.3.5 Neutralität / Allparteilichkeit
Mediation erfordert eine neutrale, allparteiliche Haltung des Mediators/der Mediatorin, die ihn/sie zu einer balancierenden Anteilnahme gegenüber allen Konfliktpartner/innen befähigt. Er/Sie dient allen Konfliktpartner/innen gleichermaßen und unterstützt sie darin, in einem fairen Verfahren eine wechselseitig befriedigende, interessengerechte und auch im Ergebnis faire Vereinbarung zu erzielen.
2.3.6 Machtbalance
Falls dauerhaft keine Machtbalance zwischen den Konfliktpartner/innen erreicht wird und der/die Mediator/in zur Überzeugung kommt, dass eine/r der Partner/innen in der Mediation nicht für sich einstehen kann muss er/sie die Mediation beenden.
3.1 Mediator/Mediatorin
Der/Die Mediator/in ist zusätzlich zu den in Ziffer 2.3.5 (Neutralität / Allparteilichkeit) beschriebenen Aufgaben für die Gestaltung des Mediationsprozesses, die Beachtung der Prinzipien sowie die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen verantwortlich. Dies setzt die Kenntnis psychologischer, familiendynamischer, sozialwissenschaftlicher, finanzieller und rechtlicher Aspekte des jeweiligen Falles voraus.
Der/Die Mediator/in darf seine/ihre Tätigkeit nicht wahrnehmen oder weiterführen bevor er/sie nicht alle Umstände, die seine/ihre Unabhängigkeit beeinträchtigen oder den Anschein eines Interessenkonfliktes erwecken könnten, offen gelegt hat. Die Offenlegungspflicht besteht im Mediationsprozess zu jeder Zeit.
Solche Umstände sind
In solchen Fällen darf der/die Mediator/in die Mediationstätigkeit nur wahrnehmen bzw. fortsetzen, wenn er/sie sicher ist, dass er/sie die Aufgabe völlig unabhängig und objektiv durchführen kann, so dass die vollkommene Unparteilichkeit gewährleistet ist, und wenn die Konfliktpartner/innen ausdrücklich zustimmen. Das Gleiche gilt, wenn sich eine Beratung, Therapie oder Vertretung auf beide Partner/innen bezogen hat.
Der/Die Mediator/in gibt keine Informationen in das justizielle Verfahren weiter. Er/Sie steht nicht als Zeuge/Zeugin, anwaltschaftliche/r Vertreter/in oder Sachverständige/r zur Verfügung. Bezüglich der Zeugenschaft wird dies im Mediationsvertrag (vgl. Abschn. 6) eigens vereinbart.
3.2 Konfliktpartner/Konfliktpartnerinnen
Die Konfliktpartner/innen benötigen ein Mindestmaß an Gesprächs- und Einigungsbereitschaft sowie den ausdrücklichen Willen, für sich selbst und die eigenen Interessen einzustehen.
Nicht immer ist Mediation der geeignete Weg der Konfliktregelung; Grenzen können beispielsweise in schweren psychischen Störungen oder Gewaltanwendung unter den am Konflikt Beteiligten liegen. Darüber hinaus kann sich im Verlauf der Mediation zeigen, dass es nicht möglich ist, zu einer eigenverantwortlichen gemeinsamen Regelung zu kommen. In solchen Fällen weist der/die Mediator/in auf Alternativen hin.
4.1 Der Beitrag der rechtlichen Grundlagen und des geltenden Rechts
Soweit im Mediationsprozess - wie z.B. bei einer Trennungs- bzw. Scheidungsmediation - eine rechtsverbindliche Vereinbarung angestrebt wird, ist für die Konfliktpartner/innen die Kenntnis des geltenden Rechts als Teil ihrer Realität notwendige Voraussetzung. Das Recht dient insofern der informierten Konsensbildung. Hierbei werden die in der Regel nicht zwingenden gesetzlichen Vorschriften in ihrem Angebotscharakter begriffen. Ferner müssen die Konfliktpartner/innen wissen, auf welche rechtlichen Ansprüche sie gegebenenfalls verzichten und was sie stattdessen gewinnen.
Darüber hinaus gibt das Recht den Rahmen für eine vertragliche Gestaltung.
Beispielsweise
4.2 Der Beitrag psychologischer und sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse
Die Ausübung der Mediation setzt die Kenntnis, Wahrnehmung und Berücksichtigung psychodynamischer und familiendynamischer Vorgänge sowie fundiertes Grundwissen über die sozialen und psychischen Bedingungen von Konfliktverhalten und Konfliktverläufen voraus, beispielsweise Kenntnisse
Für eine sachgerechte Gesprächs- und Verhandlungsführung sind zudem Kenntnisse der entsprechenden psychologischen, familiendynamischen und sozialwissenschaftlichen Ansätze, Methoden und Wirkungsweisen erforderlich, beispielsweise Kenntnisse
Dieses Grundwissen ist die Basis für die verantwortungsvolle Beurteilung der Möglichkeiten und Grenzen der Mediation im konkreten Fall und für die Selbstreflexion der eigenen Rolle und des eigenen Handelns als Mediator/in.
Interdisziplinarität ist ein prägendes Element im Verständnis der Familienmediation aus Sicht der verschiedenen Professionen. In Ausbildung und Anwendung verlangt Familienmediation die Entwicklung und Verinnerlichung von Interdisziplinarität als mediativer Haltung. Voraussetzung für ein sinnvolles Zusammenwirken der Disziplinen ist Kenntnis der jeweiligen professionellen Kompetenzen und ihrer Grenzen sowie der Indikationen und Verweisungsmöglichkeiten. Insbesondere können gemeinsam beauftragte Experten hinzugezogen werden.
5.1 Beratungsanwälte/Beratungsanwältinnen
Die Befugnis zur Rechtsberatung und -gestaltung ist gesetzlich geregelt. Der/Die Mediator/in wirkt darauf hin, dass rechtlich relevante Vereinbarungen erst nach Beratung der Konfliktpartner/innen durch je eine/n parteiliche/n Anwalt/Anwältin unterzeichnet werden und damit rechtliche Verbindlichkeit erlangen. Dies gilt auch dann, wenn der/die Mediator/in im Grundberuf Jurist/in ist.
Die Abfassung der rechtsverbindlichen Vereinbarung ist notwendigerweise Jurist/innen mit Rechtsberatungsbefugnis vorbehalten.
Dem Beratungsanwalt/Der Beratungsanwältin einer Partei ist es im Gegensatz zu einem/einer Mediator/in mit anwaltschaftlichem Grundberuf nicht verwehrt, seine/ihre Partei anwaltschaftlich, etwa im Scheidungsverfahren, zu vertreten.
5.2 Psycho-soziale Berater/Beraterinnen
Zum Verständnis ihrer eigenen Anliegen, zur Bewältigung der Situation und zur Verbesserung der Kommunikation unter den Beteiligten kann der/die Mediator/in den Konfliktpartner/innen begleitende beraterische Unterstützung empfehlen. Bei psychischen Problemen oder schwierigen familiendynamischen Konstellationen, für die therapeutische Hilfe als sinnvoll erscheint, kann der Mediationsprozess unterbrochen werden.
5.3 Zusammenarbeit in einem professionellen Netzwerk
Der/Die Mediator/in gehört einem professionellen Netzwerk an und fördert das Zusammenwirken zwischen den beteiligten Professionen namentlich in seiner/ihrer Region. Dabei ist darauf zu achten, dass im Einzelfall die Grundsätze des Daten- und Vertrauensschutzes gewahrt bleiben.
Zu Beginn des Mediationsprozesses klärt der/die Mediator/in über Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen Mediation und anderen Formen der Konfliktregelung auf, er/sie weist auf die Vor- und Nachteile der Mediation und der entsprechenden Alternativen sowie auf die Chancen und Risiken hin. Er/Sie erläutert den Ablauf, die Kosten und die unabdingbaren Voraussetzungen der Mediation wie sie sich aus den Richtlinien ergeben. Die mit den Beteiligten erarbeiteten Grundlagen für das anstehende Mediationsverfahren (Mediationsvertrag) sollen schriftlich festgehalten werden.
Der/Die Mediator/in unterstützt die Parteien darin, auf der Basis ihrer unterschiedlichen Sichtweisen, Bedürfnisse und Interessen sich selbst und den/die andere/n Partner/in besser zu verstehen und für die eigenen Interessen einzustehen. Er/Sie hilft den Partner/innen durch seine/ihre vermittelnde Gesprächs- und Verhandlungsgestaltung, eine einvernehmliche und faire Regelung zu entwickeln.
Besondere Bedeutung kommt der wechselseitigen Akzeptanz unterschiedlicher Interessen und Lebensperspektiven der Beteiligten und gegebenenfalls der Kinder zu.
Die nicht rechtsverbindliche Einigung wird in der Regel schriftlich festgehalten. Auf Wunsch der Partner/innen kann hieraus durch den/die Mediator/in, sofern er/sie Anwalt/Anwältin ist, durch die Beratungsanwält/innen oder durch öffentliche Rechts-, Auskunfts- und Vergleichsstellen eine juristisch fundierte Vereinbarung erstellt werden. Wegen der engen tatsächlichen und rechtlichen Verknüpfung ist darauf zu achten, dass jedes Teilergebnis im Hinblick auf seine Folgen für alle sonstigen Regelungsbereiche überprüft wird (vgl. 5.1). Ist zwischen den Parteien lediglich eine Einigung über einen Teilbereich zustande gekommen oder ist eine Einigung überhaupt nicht möglich, spricht der/die Mediator/in mit den Parteien das weitere Vorgehen ab.
Der Erwerb der Qualifikation als Mediator/in ist durch eine Zusatzausbildung sicherzustellen.
Die BAFM hat ihre Qualifikationsvoraussetzungen in einer Ausbildungsordnung niedergelegt.
Im Hinblick auf den persönlichen Einsatz und insbesondere die Neutralität des/der Mediators/Mediatorin gehört zu dessen Tätigkeit laufende Supervision. Darüber hinaus verpflichtet die ordentliche Mitgliedschaft in der BAFM zu regelmäßiger Fortbildung (vgl. BAFM-Satzung § 3 Abs. 4).